Belvedere Museum Wien, Ausstellung: GROW. Der Baum in der Kunst / „Alma Mater“ von Jimmy Zurek

Ich erinnere 
mich an
die Zukunft

Ich muss Dinge miteinander verbinden. Dinge aus der Welt, aus der Kunsthistorik aus der Geschichte, um das Leben und die Welt besser zu verstehen. Das kann nur die Kunst. Man sieht viele Dinge, die nicht zusammenpassen und man will eine Verbindung herstellen, weil es sich richtiger und sicherer anfühlt.

Das ist was Künstler und Künstlerinnen tun, sie schaffen eine neue Verbindung zwischen den Dingen. Ich habe das unbändige Bedürfnis dadurch für mich eine Art Ordnung zu schaffen. Kunst entsteht daraus, dass sich der Künstler mit der Welt unsicher ist. Anders gesagt, für jemanden, der ganz sicher in der Welt ruht, gibt es keinen Grund Kunst zu erschaffen. 

Jimmy Zureks Kunst-und-Koch-Show „A BRIEF HISTORY OF ART AND CUISINE“

Geschichte 
ist Material

Wenn ich berühmte Gemälde aus der Kunstgeschichte zusammenfüge und Zusammenhänge herstelle, dann ist die Kunstgeschichte ein Material. Geschichte ist für mich ein Material wie Farbe, Leinwand oder Text. Die kunsthistorischen Bilder rufe ich in meinem Gedächtnispalast ab, durchleuchte sie und frage mich, was ihre Essenz ist? Die Bilder suchen im Grunde ihre Verknüpfung, ich agiere dabei als Medium. In diesem Prozess wird mir klar: Ich komme aus den 1920er Jahren genauso wie ich aus den 1970er Jahren komme oder aus der Renaissance. Ich erinnere mich an die Zukunft, wenn ich ein ungemaltes Bild sehr konkret imaginiere. Die Gewissheit, die ich habe, wenn ich im Malprozess die richtigen Entscheidungen treffe, beruht darauf, dass ich mich in diesem Moment an die Zukunft erinnere. Die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist in diesen Entscheidungsprozessen spürbar.

ATMOSPHÄRE IST MATERIAL ZUKUNFT IST ERINNERUNG

Wenn wir Künstler arbeiten, gehen wir immer auf die Erfahrungen der Kindheit zurück. Malen empfinde ich wie Spielen, wie man als Kind gespielt hat. Die Erfahrungen und Atmosphären meiner Kindheit sind ein bestimmendes Material, mit dem ich arbeite. Wenn man frei ist wie ein Kind, kann man die Dinge miteinander verbinden, ohne sie dabei zu bewerten.

Kunst ist spirituell. Die Wissenschaft ist aufgeteilt in viele Spezialgebiete und separiert dadurch alles, was uns umgibt. Die einzige Möglichkeit, zwischen Dingen eine Verbindung herzustellen, Zusammenhänge zu schaffen, ist die Kunst. Mit ihr können wir die Welt besser begreifen. Wenn ich meditiere und in mich hineindenke, dann bildet sich der gesamte Kosmos in mir ab. Während ich male, ist der Kosmos mit mir und dem Gedächtnis meiner Zellen verbunden. 

„Das Ali Warhol Alphabet“ von Jimmy Zurek

SELBSTPORTRÄTS ALS GEGENPOL – ICH MALE SIE WEITER

Ich male Selbstporträts in der Zeit des Social-Media-Selbstdarstellungswahns, in dem es ausschließlich um Aufmerksamkeit geht und nicht wie bei den Selbstporträts um eine Art Selbstschau. Also um Selbstreflexion, Haltung, Positionen und Lebensformen. Meine Selbstporträts stelle ich kritisch dem narzisstischen Posing auf Instagram, TikTok und Co. gegenüber. Sie sind Gegenpol dazu. 

Ich beziehe mich ganz bewusst auf die Malerei der 1930er Jahre, insbesondere auf Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner, da die Nazis damals einen brutalen Schnitt in die Malerei gemacht und die Kunst auf einem Höhepunkt zerstört haben. Ich will genau in dieser Lücke ansetzen, weil ich der Meinung bin, dass noch so viel Potenzial in dieser nicht weitergemalten Epoche der Kunst steckt, aus dem ich schöpfen will. Ich bin schließlich nicht am Ende eines Bildes interessiert, sondern am Prozess des Malens.

Der künstlerische Schaffensprozess ist wie ein Fluß, von dem man nicht weiß, wohin er einen bringen wird. Hätte die Malerei von Beckmann, Kirchner u.s.w. die Möglichkeit gehabt sich frei zu entwickeln, so hätte sie in die Gegenwart münden können. Um dies zu verdeutlichen, verwende ich für bestimmte Gemälde Rahmen, die an die Rahmungen der 1920er und 1930er Jahre erinnern.

Jimmy Zurek – Selbstbildnis

ALCHEMISTISCH SOLIDARISCHE KUNST

Um es frei nach Alexander Kluge zu sagen: In der Wunderkammer, in der Alchemistenküche müssen sich die Künste, Musiken, Wissenschaften verbünden gegen die Algorithmen von Silicon Valley, gegen die dunklen Mächte der Welt. Die einzelne Kunst schafft das nicht, wir müssen uns alle zusammentun. Wir sind die Gamechanger.