HALTUNG MIT HIP-HOP
Man nennt ihn den „Basquiat von Wien“. Jimmy Zurek sorgt mit seiner bunten, collageartigen Kunst zwischen Pop-Art und Hip-Hop für viel Aufsehen in der zeitgenössischen Kunstszene.
JIMMY ZUREK in seinem Atelier in Wien-Brigittenau. Als Kind lernte er Klarinette, spielte Bach und Mozart. Irgendwann traten aber Hip-HopActs wie Grandmaster Flash und NWA in sein Leben und veränderten es radikal. Dem Hip-Hop, „der sich weniger mit Goldketten und teuren Autos als mit der Kritik am politischen Establishment beschäftigt“ , fühlt er sich bis heute stark verbunden.
Corona habe ihn stark beeinflusst, erzählt Jimmy Zurek in seinem Wiener Atelier. Einer anfänglichen Schockstarre folgte eine beinahe schon manische Produktivität, und er begann, das omnipräsente Thema in seinen Bildern zu verarbeiten. Eines dieser Werke zeigt eine Krankenschwester und eine Lehrerin mit zerplatzten Kaugummi-Blasen statt Masken im Gesicht. „Doing a Good Job“, ist darüber zu lesen – direkter Verweis auf einen Song von Alicia Keys, in dem sie sich bei den sogenannten „Systemerhaltern“ bedankte. Die Krise, so Zurek, habe den „Wahnsinn in der Geldverteilung“ sichtbarer gemacht, gezeigt, wie ungerecht etwa Lehrer und Krankenschwestern trotz ihrer wichtigen gesellschaftlichen Stellung honoriert werden. „Pfleger, die aus dem Osten hierherkommen, müssen die Reise selbst zahlen. Dagegen sind hunderte Millionen für die Rettung einer Airline locker drin“, wettert er. Und auch wenn man das alles nicht direkt vergleichen könne, lenkt Zurek ein: Über die Sinnhaftigkeit so mancher Relation könne, ja, solle man sich schon Gedanken machen.
Auf einem anderen in dieser Zeit entstandenen Werk rankt sich eine endlos wirkende Dominostein-Reihe wie ein Rahmen um das Bild. Die Steine stünden für die Masse an Zahlen, die man uns, seit es Corona gibt, Tag für Tag serviert. „Zahlen, die uns überfordern, die aber für unser Leben ausschlaggebend sind.“ In der Mitte thront eine Art Priester, Symbol für eine nicht definierbare, männliche Übermacht. Und der Tennisball? Der ist von Woody Allens Film „Match Point“ inspiriert, erklärt Zurek. Da gibt es die Szene, in der ein Tennisball auf die Netzkante fällt und es einen Moment lang unklar ist, auf welches von den beiden Feldern er fallen wird. „Kleine Dinge drehen sich in die eine oder andere Richtung und haben eine riesige Auswirkung.“ Eine kleine Filzkugel als Metapher für die Ungewissheit des Lebens.
Zureks Bilder sind voll von Zitaten und Querverweisen zum Pop, zum Jazz, zur Filmwelt, vor allem aber zum Hip-Hop, denn Zurek war früher selbst Teil einer Wiener Hip-Hop-Formation, die es auch mehrfach in die Charts des führenden Alternative-Radiosenders des Landes schaffte. Irgendwann hat sich Zurek aber schließlich auf etwas anderes konzentriert, was er kann und was weniger „brotlos“ ist: auf die bildende Kunst. Er lernte an der renommierten Universität für angewandte Kunst Wien bei Christian Ludwig Attersee und stieg zum Szenekünstler auf.
Der Hip-Hop, verstanden als politische Kunst, als „Geschichtsbuch der Black Community“, hat ihn dennoch nie wieder losgelassen, was sich nicht nur in seinem Äußeren widerspiegelt – er trägt Brillantohrringe und Gucci –, sondern auch in seinen Bildern, in denen er die Technik des Samplings anwendet. „Ich nehme ein Thema, eine bestimmte Komposition, oft sind es auch Farben, Farbflächen oder Hintergründe aus anderen Bildern, etwa von Basquiat oder Frankenthaler, und lege meinen eigenen Beat drüber“, sagt er. Was er darunter versteht, wird deutlich, wenn man seine Mona Lisa mit jener von Basquiat vergleicht: Beide bedienen sich des Originals. Komposition und Farben sind ähnlich. Die Geschichte, die Zureks Mona Lisa erzählt, ist trotzdem eine völlig andere: Mit „Snapchat“Augen und „Puppy Nose“ wirkt sie gleichermaßen verniedlicht wie grotesk und verbindet die Zeiten Da Vincis und Basquiats mit unserer irritierenden Social-Media-Gegenwart. Leider kann er uns seine Version nur noch auf einem Handy-Foto zeigen, weil sie neulich ein Schweizer Sammler kaufte. Der immer wieder bemühte Vergleich mit Basquiat störe ihn nicht, meint Zurek. Erstens sehe ohnedies jeder, dass sich die Arbeiten grundlegend voneinander unterscheiden. Zweitens hält er es für ausgeschlossen, dass eines seiner Bilder jemals einen auch nur annähernd so obszönen Preis erzielen werde wie der unlängst bei einer Auktion ersteigerte Basquiat. Keine Kunst, auch wenn sie unbestritten noch so gut ist, sei das wert. Was die beiden – Basquiat und Zurek – sichtlich eint, ist der Hang zum Kindlich-Naiven. Bei Zurek ergibt sich aus dem starken Kontrast zwischen bewusst vereinfachter und einzelner realistischer Darstellung – hier ein Taschenrechner der Marke Texas Instruments, da der ikonische Sony-Walkman DD – ein ganz spezieller Charme.
Zurek versteht sich als politischer Künstler, der gesellschaftlich relevante Themen nicht nur aufgreift, sondern sie verhandelt und zelebriert. Etwa den Horror vacui. Das gleichnamige Bild ist eine gekonnte Persiflage auf unsere Überforderung mit der Leere, der wir mit dem Drang begegnen, alles mit Inhalt vollzustopfen.
Oder Blackrock. Dass die EU-Kommission ausgerechnet den Finanzriesen und weltgrößten Investor in fossile Energien als Berater für nachhaltige Bankregeln engagierte, inspirierte Zurek zu einem Bild, in dem er diese reale Bedrohung der irrealen Bedrohung durch Asteroiden gegenüberstellt. Für die „Clique von Künstlern, die sich rund um den aktuellen Kanzler und Gefolge versammelt hat und um seine Gunst buhlt wie um jene eines Mäzens“, hat Zurek nur Spott übrig. „Ein Künstler, dem es einzig darum geht, möglichst viele seiner Werke zu verkaufen, ist ein toter Künstler.“ „Das hier“, Zurek zeigt auf seine Bilder, „ist keine Jackass-Kunst. Hier geht es um etwas.“ Am besten könnte man das, worum es hier geht, mit dem Wort „Haltung“ beschreiben. (Markus Deisenberger, EDITION Das Stilmagazin von Braun Hamburg Vol.8 Herbst 2021)
DIE SAMPLES* IN MEINEN GEMÄLDEN
Ich liebe neben der Malerei die Musik sehr. Ich höre immer Musik, wenn ich male. Ich habe lange Zeit Musik live performt, geschrieben und auch produziert. Als Teenager habe ich Mozart und Bach auf der Klarinette gespielt und zur gleichen Zeit die Liebe für Hip Hop mit “Fuck Tha Police“ von N.W.A. entdeckt. Um genau zu sein, ist diese Liebe bereits als Kind mit „The Message“ von Grandmaster Flash entbrannt, aber da hab ich ihn noch nicht verstanden. Später als Erwachsener habe ich Jazz auf Alt-, Tenor- und Baritonsaxophon und Trompete improvisiert und dabei die kreative Freiheit in meinem Kopf entdeckt. Jazz war für mich Wegbereiter für den Hip Hop, den ich geschrieben und produziert habe. In der Hip Hop Produktion ist es üblich, ein Sample aus einem Song zu nehmen, oftmals aus den 60er/70er Jahren und legt dann einen Beat darüber. Daraus entsteht ein neues Musikstück, über das gerappt wird. Ein Sample ist meist nur ein paar Sekunden lang. Es kann ein Thema aus einem alten R&B Song oder auch aus einem bekannten Hit sein. Wahnsinnig geil fand ich es, als A Tribe Called Quest in ihrem Hip Hop Track “Can I Kick It“, ein Sample mit der berühmten Bass- und Gitarrenlinie aus “Take A Walk On The Wild Side“ von Lou Reed nahmen und darüber einen sexy Beat gelegt haben. Der Track hat mich umgehauen. Heute denke ich mir immer noch: „Wie genial ist das denn?“
Und genauso arbeite ich als Maler. Meine gemalten Samples* sind Hintergrundflächen oder einzelne Sujets von Jean-Michel Basquiat, aber auch von anderen Malern und Malerinnen wie Helen Frankenthaler, die ich verändere. Ich lege einen Beat darüber – meine Handschrift und neue Ansätze – und es entsteht ein neues Gemälde daraus. Die gleiche Freude, die ich habe, wenn ich in einem Hip Hop Song ein geiles Sample entdecke, habe ich auch beim Malen von meinen Bildern mit den bildhaften Samples, die mich zu neuen Interpretationen und Geschichten inspirieren. Es entsteht sofort ein Fluss aus Assoziationen, die aufeinander aufbauen und dadurch eine energiegeladene Dynamik, aus der in einem kurzen aber sehr intensiven Zeitraum ein großes Bild erwächst. Manchmal nachdem ich ein Bild fertig gemalt habe und ich mich fühle, als ob ich extrem auspowernden Sport gemacht hätte, wundere ich mich selbst, woher diese Kraft und auch die Ideen kommen. Es fühlt sich an, als ob es einen Ort gäbe, von dem diese Gedanken in mich hineinströmen. Es ist ein beruhigendes Gefühl, wenn ich an diesen Ort denke, er ist wie ein Zuhause, wie ein Ort von dem alles herkommt.
Selbst wenn ich schreckliche Missstände, soziale Ungerechtigkeiten, den Wahnsinn der Welt und die Hässlichkeit unserer Gesellschaft in meinen Bildern thematisiere ist es mir wichtig, dass eine gewisse Unbeschwertheit, Humor und vor allem Hoffnung in meinen Bildern überwiegen. Mit leuchtenden Farben und zum Teil vertrauten Sujets aus der Kindheit versuche ich die Menschen mit meinen Bildern abzuholen, ihnen Angst zu nehmen und Hoffnung zu geben. Sie sind dann vielleicht nicht mehr alleine mit ihren Sorgen.
* Samples sind kurze Ausschnitte aus Songs, die zur Wiedergabe digital in einem Synthesizer gespeichert werden.