PHILOSOPHISCHER TEXT VON LISZ HIRN

zu Jimmy Zureks Serie PROSCIUTTO COURAGE
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PROSCIUTTO COURAGE UND SEINE KINDER

 

„Das Sein ist eins mit dem Essen; Sein heißt Essen; was ist, isst und wird gegessen.“ Ludwig Feuerbach

 

Einen sorglosen Tag kannten die Menschen seit dem 23. Mai 1618 nicht mehr, als der Kampf um den christlichen Glauben und um die europäische Vorherrschaft auf dem Kontinent begonnen hatte. Vielmehr hatten sie sich im Unheil einrichten müssen. An den Grenzlinien zwischen katholischen und protestantischen Lebenswelten tobte neben Pest und Cholera auch ein erbitterter Streit um die rechte Ernährung. Wie sollte sich ein wahrer  Christ ernähren: im Sinne Luthers, Zwinglis oder im Sinne des Papstes? Dabei war das, was auf den Teller kam, je nach Region und Fruchtbarkeit des Bodens und der Bevölkerung von Haus aus recht unterschiedlich. Dass der Fleischkonsum allerdings nur den Reichen dieser Zeit vorbehalten war, ist jedenfalls zu relativieren, glaubt man zeitgenössischen Quellen. Gerade das Schwein stand am Beginn der Neuzeit regelmäßig am Speiseplan der ländlichen Bevölkerung. Übrigens auch, weil dessen Fleisch dem des Menschen verblüffend ähnlich ist und so als außergewöhnlich nahrhaft angesehen wurde. Außerdem hatte die Haltbarmachung von Schweinefleisch eine lange Tradition, die bis weit in die Antike zurückreichte. Erst ein Anstieg der Lebensmittelpreise zusammen mit einem starkem Bevölkerungszuwachs ließ den Fleischkonsum im 16. Jahrhundert stagnieren; die langen kriegerischen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert taten das Übrige.

Man darf also mit Recht vermuten, dass sich viele Frieden wünschten, „um ihres Bauchs und Wollust willen; hingegen aber sind auch andere, die den Krieg behalten wollen, nicht zwar weil es mein Will ist, sondern weil er ihnen einträgt; Und gleichwie die Maurer und Zimmerleut den Frieden wünschen, damit sie in Auferbauung der eingeäscherten Häuser Geld verdienen, also verlangen andere, die sich im Frieden mit ihrer Handarbeit nicht zu ernähren getrauen, die Kontinuation des Kriegs, in selbigem zu stehlen.“¹ Nicht nur der berühmte Simplicius Simplicissimus, sondern ebenso die Mutter „Courasche“ sind Schöpfungen dieses Krieges, der sowohl das einfache Volk, als auch dessen  ökonomische und moralische Lebensgrundlagen verzehrte. Die, die sich 1643 an Verhandlungstische in Münster und Osnabrück setzten, waren keine verwahrlosten Hungerleider. Jene Herren standen vor der Herausforderung, eine gemeinsame Sprache im multinationalen und konfessionellen Tohuwabohu zu finden und den günstigsten Zeitpunkt für einen Frieden abzupassen. Manch ein Krieg mag aus reiner Kriegsmüdigkeit beendet worden sein, meist aber wird Frieden geschlossen, wenn keine Seite mehr glaubt, etwas gewinnen zu können.
Als der Westfälische Frieden 1648 endlich geschlossen wurde, gab es also nicht mehr viel Bestehendes, worüber die Herren verhandeln hätte können. Das Land war verheert, die ländliche Bevölkerung bis zur Unkenntlichkeit dezimiert, nachdem mordende und plündernde Soldaten- bzw. Söldnerheere jahrzehntelang durch ganz Europa gezogen waren. Sie hinterließen ein Trauma, an dem die besonders schwer und durchgehend betroffenen deutschsprachigen Lande noch lange laborieren sollten. „Die Tiere draußen blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war.“² An jedem großen Verhandlungstisch gilt, was George Orwell in seiner „Farm der Tiere“ gegen Ende beschreibt. Der Mensch ist ein Schwein, und die Schweine an der Macht sind folglich nur Menschen. „Mir tut so ein Feldhauptmann oder Kaiser leid, er hat sich vielleicht gedacht, er tut was übriges und was, wovon die Leute reden, noch in künftigen Zeiten, und kriegt ein Standbild, zum Beispiel erobert die Welt, das ist ein großes Ziel für einen Feldhauptmann, er weiß es nicht besser. Kurz, er rackert sich ab, und dann scheiterts am gemeinen Volk, was vielleicht ein Krug Bier will und ein bissel Gesellschaft, nix Höheres.“³

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¹ Grimmelshausen, Simplicissimus, 5. Kapitel, zitiert nach zeno.org
² George Orwell, Die Farm der Tiere.
³ Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder, 6. Szene.

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