Gemalte Delikatessen
Jimmy Zureks künstlerisches Gesamtwerk ist vielschichtig. Stilistisch festlegen wollte er sich nie. Er meint, das nähme ihm die Freiheit, jeden Tag mit einem anderen Ansatz ein Bild zu malen. Dem eigenen Ansatz zu misstrauen, wurde so zum Grundsatz seiner Malerei. Sich einem gleichbleibenden und angepasst-etablierten Stil zu unterwerfen, würde bedeuten, nur noch „öde Abziehbilder der eigenen Kunst“ zu produzieren. Zureks Malerei besticht durch ihre stilistische Vielfalt, sie umfasst expressive Gemälde, die in der Nähe der Neoexpressionisten der 1980er-Jahre, der so genannten Wilden verortet werden können, genauso wie Bilder, die an die Ästhetik eines Max Beckmann erinnern. Auch dieser empfand sich zu sehr als Einzelgänger, um sich den in den 1920er- und 1930er-Jahren angesagten Stilrichtungen unterzuordnen. Beckmann war seiner Zeit weit voraus und in der Art zu malen viel direkter als seine Kollegen. Wie Beckmann lässt Zurek den groben, direkten Farbauftrag stehen und beteiligt den/die Betrachter/in am expressiven Schaffensprozess, der durch die direkten und zugleich endgültigen Pinselstriche sichtbar bleibt. So wird seine Malerei zu einer eigenen Delikatesse.
A Brief History of Art
Für gefällige Moden und Kategorisierungen hat sich Zurek also nie interessiert, es zog ihn zu den Unangepassten wie Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner oder Jean-Michel Basquiat. Und noch mehr beschäftigte ihn im Kontext der Unangepasstheit, der Nichtgefälligkeit die kunstgeschichtliche Lücke, die das NS-Regime des Dritten Reiches brutal aus der europäischen Kunst herausgeschnitten hat, gerade als sie auf ihrem Höhepunkt war. Diese Lücke der nicht weitergemalten 1920er- und 1930er-Jahre will Zurek erforschen, sie für sich füllen, indem er bei Beckmann ansetzt und bei Basquiat und Martin Kippenberger einen Zwischenstopp einlegt.
„Aus einer zukünftigen Perspektive betrachtet, würde es mich nicht überraschen, wenn die gesamte Kunstperiode seit der Romantik bis zu den jetzigen Kunstbewegungen, bis heute – also mehr als 150 Jahre Kulturgeschichte – unter einem Epochenbegriff zusammengefasst würde. Die lange Liste der Kunstsolitäre und Ismen, die scheinbar unüberwindbaren Konflikte und Differenzen zwischen den kurzen Kunstkapiteln der Moderne und Postmoderne geben aus der Distanz vielmehr ein Bild einer Einheit, die zwar heterogen in der Form, aber homogen in der Substanz eines von der zivilisatorischen Entwicklung überrumpelten Menschen erscheint. Im Grunde geht es seit dem definitiven Etablieren und Befreien des ‚Ich‘ in der Kunst um ein Bild des Menschen, der nach seiner eigenen, individuellen Identität sucht. Diese Überzeugung vertritt auch Jimmy Zurek, der es anschaulich macht, wie die Position von Beckmann und die von Basquiat legitim nebeneinander figurieren kann.“ (Kunsthistorischer Beitrag im Ausstellungskatalog „Zur Goldenen Kunst“ Seite 4, Herausgeber: Andreas Stern Fine Arts, 2023)
Popcorn im Zeitalter des Icons
Basquiat bedient sich der ikonischen Symbole der 1980er-Jahre, das ist die Zeit von Jimmy Zureks Kindheit, die Dekade, die ihn prägte. Naheliegend, dass Zurek als Teenager Copyrightzeichen, Lacoste-Logos und Popcorn malte – ohne die Kunst von Basquiat zu kennen. Selbst als er Anfang der 1990er-Jahre als junger Student beginnt, Texte in seinen Bildern durchzustreichen, um sie sichtbarer zu machen, ist ihm nicht bewusst, dass es in New York einen ihm „seelenverwandten Künstler“ gab, der dies auch zu einem seiner Stilelemente gemacht hat: Umso faszinierender sei es für ihn gewesen, zu sehen, wie ähnlich seine Kunst jener Basquiats war, als er dessen Bilder zum ersten Mal sah.
Das Ikonische steht in Zureks Bildern im Vordergrund, ein roter Faden, der sich durch sein gesamtes Werk zieht. Für sein eigenes Verständnis durchleuchtet er gerne die Kunstgeschichte und kreiert neue, eigene Ikonen. Sein Ziel ist es, elitär präsentierte Kunst für alle zugänglich zu machen, indem er in seiner Serie “Zur Goldenen Kunst“ Bildelemente aus der Kunstgeschichte in Speisen und Getränke verwandelt – gespickt mit humoristischen, genialen Wortspielen.
“Was auf den ersten Blick wie ein assoziatives Spiel erscheinen mag, ist der Beweis für tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Jimmy Zurek entwickelt aus den Namen, Motiven und Stilen wichtiger Künstler*innen nicht nur seine eigene Ikonographie, er gibt uns oft den Hinweis auf die überzeitliche Aktualität vieler Kunstpositionen, die wir seit ein paar Dekaden als konzeptuell bezeichnen würden. Seine Culinario-graphie (aus dem lateinischen culinaria) wie wir seine Umwandlung typischer kunsthistorischer Elemente in eine neue kulinarische Ikonographie der Kunstgeschichte bezeichnen können, ist daher nicht nur amüsant, sondern scharfsinnig analysierend zugleich.“ (Kunsthistorischer Beitrag im Ausstellungskatalog „Zur Goldenen Kunst“ Seite 4, Herausgeber: Andreas Stern Fine Arts, 2023)
Mit seinen Gemälden gelingt es Zurek da, wo Kunst und kunstgeschichtliche Diskurse an ihrer Ernsthaftigkeit zu ersticken drohen, befreiendes Lachen in uns auszulösen. „Schnitzel, Wurst und Mousse au Chocolat kennt so ziemlich jeder, aber nicht jeder kennt Ernst Ludwig Kirchner“, erklärt er den Zugang zu seiner Bilderserie. „Wenn da im Bild ‚Käserainer‘ steht, dann ist man amüsiert, glaube ich, auch wenn man nicht den Arnulf Rainer kennt: Weil man durchschaut, dass hier elitäre Kunst ironisch verwurstet wird. Vom hohen Sockel runter in die Wurstdärme gepresst. Und das macht Spaß. Also mir zumindest.“ Jeff Koons’ “Balloon Dog“ kommt in Zureks gemalter Version schließlich aus einem poppig-roten Enddarm. „Passt doch sehr gut zur Ramschladen-Dekokunst von Koons, dass sein verchromter Hund aus einem Enddarm kommt“, meint Zurek lachend. In Jimmy Zureks Bildern erkennt man nicht nur den Spaß, den er beim Erfinden der Namen der “Künstler*innen-Speisen“ hat, sondern auch die Leidenschaft und Freude beim Malen. Jimmy Zurek dazu: „Schon als Kind hat es mich fasziniert, Essen zu malen und auch heute noch ist es für mich die größte Freude, einen Prosciutto Crudo, eine Salami, ein Steak, Gorgonzola oder einen Semmelknödel expressionistisch darzustellen. Die Marmorierung von Fleisch oder Blauschimmelkäse lässig aber präzise zu malen, macht mich glücklich.“
Im Anfang war das Wort…
Auf den Bildrand der Leinwand schreibt Zurek in dieser Serie den Titel des Gemäldes, einen bis maximal drei Namen der abgebildeten Speise(n), die er aus abgeänderten Namen von Künstlerinnen und Künstlern geformt hat. Bereits während des Studiums der Malerei an der Universität für angewandte Kunst in Wien zeichnete sich ab, dass seine große Leidenschaft für Wort und Text Teil seiner Arbeitsweise und Annäherung an das Bild werden sollte. Seit jeher beginnt er mit dem Text und daraus entsteht über Assoziationen erst in weiterer Folge ein Bild. So auch in dieser Serie, denn viele Jahre lang existierten alle Namen der “Künstler*innen-Speisen“ zunächst in geschriebener Form.
…und es war außen knusprig und innen rosa.
Die Parallelen zwischen der Kunst des Kochens und des Malens liegen für Zurek in der Textur, Konsistenz, Komposition und in ihrer Bedeutung. Kann man Kunst essen? Ja, bei Monty Python’s Flying Circus schon, legitimiert Zurek kurzerhand die Lebensnotwendigkeit von Kunst und Esskultur. Sie sind für ihn Ausdruck dessen, wozu der Mensch im positivsten Sinne fähig ist. Der Stellenwert des Essens in der Kunst – und umgekehrt – schlägt sich in tausenden Darstellungen von griechischen Symposien über Stillleben bis zu den Fallenbildern Daniel Spoerris oder Dieter Roths Schimmelbildern und Lebensmittelskulpturen ebenso nieder wie in der nicht selten symbiotischen Beziehung von Künstlern und Künstlerinnen zu ihren Restaurants und Cafés. Im Essen und in der Kunst verbindet sich alles, was den Menschen ausmacht. Und Zurek meint damit: „Intellektualität, Sinnlichkeit, Punk-Attitüde, Leichtigkeit, Tiefe, Leidenschaft, Sensibilität, Coolness, Haltung, Spiegel der Gesellschaft, Liebe, die Seele des Künstlers/der Künstlerin, Hoffnung, Fantasie, natürlich eine Message und die Fähigkeit den/die Betrachter/in zu entführen. All das in einem Werk zu vereinen, ist für mich die größte Kunst.“
Die Kunst des Sehens, Schmeckens und des Kochs
Esskultur, die über die Nahrungsaufnahme hinausgeht, ist immer auch Spiegel ihrer Zeit und Gesellschaft. In ihr verbinden sich Einflüsse, Völker, Familien, Geschmäcker, Ideen. Über Jahrhunderte entwickelt und verfeinert ist sie Anspielung auf das, was die Menschen gerade beschäftigt, und wo sonst, wenn nicht beim Essen, wird darüber gesprochen? Wohl deshalb finden sich in der französischen, italienischen und österreichischen Küche immer auch Witz, Mangel, Überfluss, Überdruss, Standesbewusstsein, Kritik und neue Moden, Umbrüche, Unterdrückung, kleine und größere Überraschungen und Gemeinheiten. So liegt der kulinarische Ausdruck ganz nah an dem der bildenden Kunst, wo Mensch und Gesellschaft ins Metaphorische, ins Ikonische übertragen werden. Und während speziell die österreichische Küche in der internationalen Kritik zu Unrecht vernachlässigt, geradezu ignoriert wird, erhebt Zurek auch sie in seiner Serie zur Kunstform, indem er seine Bilder wie Speisen aus Namen, Geschichten und kunsthistorischen Kontexten komponiert. Und er würzt sie mit Farben, Farbauftrag und einer kräftigen Prise Humor.
Und ganz nebenbei gibt Zurek Antwort auf eine der essentiellsten Fragen: What came first? The chicken or the egg? „Das Huhn. Um genauer zu sein: das Braquehendl. Denn das habe ich gemalt, bevor ich das Ai Weiwei im Glas auf roten Hintergrund gepinselt habe.“
Schmeckst du, was du siehst?
Bald nach Fertigstellung der Serie “Zur Goldenen Kunst“ war die Idee geboren, die Gerichte aus Zureks Bildern zu kochen: Zu sehen, was man schmeckt und zu schmecken, was man sieht. Haubenköche lassen im Kontext der Ausstellung neue Kreationen aus den Kompositionen der Malerei entstehen. Spoerriribs mit Picassauce, van der Rohe Miesmuscheln und Kahlomari Fridda gibt’s, statt Fröschebein und Krebs und Fisch – drum hurtig, Kinder, kommt zu Tisch.
Der Text in diesem Katalog entstand im Gespräch mit Jimmy Zurek, aufgezeichnet von Marie-Theres Stremnitzer.